Frank-Michael Kirsch, Per-Åke Lindblom, Arne Rubensson (red): Guld i strupen? Rötter och relationer till svenska språket (Gold in der Kehle? Wurzeln und Beziehungen zur schwedischen Sprache), Stockholm 2014.
Reden ist Silber und Schweigen ist Gold? Glaubt man der aktuell erschienenen Anthologie „Guld i strupen?“, herausgegeben von der schwedischen Sprachgesellschaft „Svenska Språkförsvaret“, dann lassen sich diese Worte getrost umdrehen, denn die schwedische Sprache verheißt "Gold in der Kehle".
Entgegen aller Sprachpessimisten wurde nie zuvor so viel auf Schwedisch gesprochen, gelesen und geschrieben wie heute. Getrieben von der Neugier und der Liebe zur Sprache schlummert in jedem von uns ein Reichtum von unschätzbarem Wert, wobei eigentlich egal ist, von welcher Sprache hier die Rede ist. Unter dieser Prämisse haben sich die Herausgeber der Anthologie das hehre Ziel gesetzt, die Beziehungen der schwedischen Gesellschaft zu ihrer Sprache in all ihren Facetten zu spiegeln und nach den Wurzeln zu graben.
Das ist auch für hartgesottene Sprachliebhaber eine echte Herausforderung. Einerseits besteht die Gefahr, in Plakative zu verfallen, andererseits die, sich in linguistischen Irrgärten zu verlaufen und dabei die Leser zu verlieren. Als Ergebnis sind 20 Beiträge entstanden, in denen Professoren, Journalisten, Poeten, Politiker, Schriftsteller, Übersetzer, Mutter- und Vatersprachler, Lehrer, Musiker und Prominente ihre ganz persönliche Beziehung zur schwedischen Sprache beschreiben und den Leser mit auf die biographisch geprägte Reise zu den sprachlichen Wurzeln nehmen. Dabei kommen nicht nur schwedische Urgesteine, sondern auch Stimmen aus Deutschland, Dänemark, Finnland, Norwegen und Schottland zu Wort. Dies ermöglicht ein Panorama der Erfahrungen mit der schwedischen Sprache, das seinesgleichen sucht.
Die Reise beginnt mit Lars-Gunnar Andersson, Professor in Schwedisch an der Göteborger Universität. Er lässt seine 16-jährigen Erfahrungen mit dem Radioprogramm „Språket“ (die Sprache) Revue passieren, welches sich in aufklärerischer Mission den Fragen des sprachverwirrten Volkes gewidmet hat.
Wenn es alle falsch machen, wird es dann richtig? Eine Frage, die viele von uns beispielsweise beim Gedanken daran, wann nun das mit s oder ss geschrieben wird, sicher gern mit „Ja! Ein s für alle das!" beantworten möchten. Anderssons Appell richtet sich an die Verantwortung, die wir als Sprecher übernehmen. Frei nach der goldenen Regel: Behandle deine Sprache so, wie du von ihren Sprechern angesprochen werden möchtest. Sein Tenor ist eindeutig: Hoch lebe die Veränderung! Sprache ist Leben, Leben ist Veränderung.
Aber wie verändert sich Sprache im historischen Kontext? Frank-Michael Kirsch, einer der Herausgeber und Professor in Germanistik und Skandinavistik, beschreibt eindringlich seine Erfahrungen mit der schwedischen Sprache im Spannungsfeld von Diktatur und Demokratie. Aufgewachsen in der DDR hat ihn erst die schwedische Sprache dazu gebracht, das Schweigen zu überwinden. Allerdings leidet er noch heute an einer Allergie gegen sinnloses Geschwafel, welcher er mit dem wunderbar klingenden Wort „pamppladder“ Ausdruck verleiht.
Verschmutzen die heutigen Sprecher unsere Sprache und lassen Sie zu einer Kloake, zu einem Abfallcontainer verkommen? Diese Frage bejaht Björn Ranelid, Schriftsteller und Stern am schwedischen Prominentenhimmel, und schlägt sich mit seinen fast predigend anmutenden Worten auf die Seite der Sprachpessimisten. Ranelid erkennt den Sprechern den Willen zur Sprachpflege ab, der aufgrund einer zunehmenden Sprachverschmutzung dringend nottut.
Wie lässt sich die Frage nach der Muttersprache eindeutig beantworten, wenn jemand mehrsprachig aufgewachsen ist, Vater und Mutter unterschiedliche Sprachen sprechen? Verena Reichel, preisgekrönte Übersetzerin skandinavischer Literatur ins Deutsche, beschreibt ihren Weg von der schwedischen zur deutschen Sprache ebenfalls sehr eindrucksvoll. Während das Schwedische für Schutz und Geborgenheit in ihrer Kindheit steht, so vergleicht sie das nur mit Widerwillen erfolgte Erlernen der "Vatersprache", der deutschen Sprache, mit der Vertreibung aus dem Paradies. Dem Übersetzen schreibt sie heilende Kräfte zu, die es ihr ermöglicht haben, zwischen den Sprachwelten eine Brücke zu bauen, auf der sie sich heute unbehindert bewegen kann.
Ist schwedisch womöglich die artigste Sprache der Welt? Der australische Journalist John Alexander kommt zu dem Schluss, dass diese Sprache zu den artigsten dieser Welt gehören müsse, bringt sie doch mit dem Wort „lagom“, was so viel wie „genau richtig“ bedeutet, die höchst originäre Krone der schwedischen Diplomatie hervor.
Wie sähe eine Welt ohne die schwedische Sprache aus? Ohne die deutsche Sprache? Warum werden Film in Schweden oftmals nicht synchronisiert und warum macht man dies überhaupt in Deutschland? Die Liste der in der Anthologie aufgeworfenen Fragen lässt sich ohne Weiteres beliebig fortführen. Das verbindende Element aller Beiträge ist die Liebe zur Sprache, die den Leser auf eine Reise von tiefer Hingabe und Bitterkeit, Wut, Frustration und überschwängliche Freude nimmt. Am Ende dieser Reise schlägt einem das Herz bis zum Hals und die Augen leuchten im Gewahrwerden des eigenen Schatzes, den ein jeder in seiner Kehle und in seinem Herzen trägt. Wir sind alle auf die eine oder andere Art Experten unserer Sprache(n). Wir können unsere Erfahrungen miteinander teilen. Die Zaubermedizin gegen allergische Beschwerden bei Sprachnotfallerscheinungen und pamppladder heißt nämlich Kommunikation: Reden ist Gold!
Eyleen Kotyra
(Recensionen publicerad något förkortad i Deutsche Sprachwelt våren 2015 – här med recensentens tillstånd)